Am 18.09.2018 konnten sich Anwohner*innen und Interessierte im Rahmen eines Kiezgespräches mit Innensenator Andreas Geisel (SPD) und dem rechtspolitischen Sprecher der Grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Benedikt Lux (MdA), zu den Zielen und Effekten der Innenpolitik unter R2G im Friedrichshainer Südkiez austauschen.
Die Nebenwirkungen der Partyszene sowie des Feiertourismus stellten die Hauptanliegen der zahlreichen Besucher*innen unseres Kiezgespräches dar: Müllberge auf den Straßen und Plätzen, urinieren in und vor Hauseingängen, Lärmbelästigung durch eine hohe Gastronomiedichte und die allgegenwärtige Präsenz von Drogendealern, welche sich nicht davor scheuen Passant*innen – darunter auch Minderjährige – offensiv anzusprechen. Für all diese Probleme suchten die besorgten und verärgerten Anwohner*innen Lösungsansätze in der Politik: Fragen nach vermehrter und stärkerer Polizeipräsenz und ordnungspolitischem Durchsetzen von Ruhezeiten und Lärmbegrenzungen wurden wiederholt aufgeworfen.
Als Antwort erläuterte Benedikt Lux die gegenwärtige Umstrukturierung innerhalb der Berliner Polizei: diese zielt auf einen neuen, dezentralen Einsatzaufbau mit erweiterten Aufgaben- und Kompetenzbereichen der Einsatzkräfte. Um langfristig Konfliktherde zu zügeln, soll eine innovative Konflikt- und Deeskalationskultur innerhalb der Polizei etabliert, und auch der Aspekt der sozialen Arbeit durch die Polizei zunehmend ausgebaut werden. Denn eine Innenpolitik, die nur auf einem Strafenkatalog als regulatorisches Instrument fußt, stößt immer wieder an ihre Grenzen. Doch dieser Prozess der Umstrukturierung und des Umdenkens braucht Zeit. Erfolge werden erst langfristig sichtbar werden.
Auch Andreas Geisel bekräftigt diese These. Er habe politisch verstanden, dass die Stadt wächst, und zunehmend Sozialarbeiter*innen braucht, um ein gutes Miteinander der heterogenen Bevölkerungsstruktur zu gewährleisten. Das Problem liegt darin, dass der Markt an Sozialarbeiter*innen ausgeschöpft ist, und damit der Innenpolitik auf dieser Ebene die Hände gebunden sind.
Revaler Straße – Brennpunkt oder Eldorado?
Doch zurück zu den Zuständen in der Revaler Straße, welche maßgeblich von der Szene am RAW dominiert werden:
Diese Zustände, so Benedikt Lux, sind die Folgen des eigenen Erfolgs: lange Zeit haben unter anderem Bündnis 90/ Die Grünen mit den Betroffenen dafür gestritten, das RAW als soziokulturellen Freiraum zu erhalten. Dieser Freiraum jedoch fordert seinen Zoll, welcher nun hauptsächlich von den Anwohner*innen getragen werden muss. Neue Lösungsansätze für die bestehenden Probleme müssen gefunden werden. Dem stimmt Geisel zu. Er sieht in Repressionen und Großeinsätzen keinen nachhaltigen Weg, um z.b. die Drogenproblematik zu regulieren. Diese Maßnahmen führten nur zu einer Verdrängung der Dealer in benachbarte Straßenzüge. Eine grundlegende Änderung der gegenwärtigen Situation hält Geisel wiederum, wie er wiederholt betont, nur durch eine städtebaulichen Neuordnung für machbar.
Der Senat habe insgesamt wenig Steuerungsmöglichkeiten, um Tourist*innenverhalten zu lenken (und auch Feiertourismus, der sich zum großen Teil aus Berlin*erinnen zusammenfindet, ist eine Form von Tourismus) . Das neue Tourismuskonzept wird durch einige Maßnahmen, so zum Beispiel der Aufstellung von öffentlichen Toiletten an der Warschauer Straße oder einer verstärkten Säuberung von touristisch strapazierten Straßen durch die BSR, auch im Friedrichshain für etwas Entspannung sorgen. Aber eine dauerhaft zufriedenstellende Lösung der touristisch bedingten Probleme für die Anwohner*innen kann damit nicht erreicht werden.
Auch auf die aktuelle Gewerbesituation und damit die wiederholt beklagte Kneipendichte kann über das aktuell geltende Planungsrecht kein Einfluss genommen werden. Eine Überarbeitung des Planungsrechts ist dringend nötig, um Neuansiedlung von Gastronomie steuern und damit zunehmende Lärmbelästigung regulieren zu können.
Appell an die Bevölkerung
Geisel appelliert an die Bevölkerung (und damit hebt er sich bewusst von seinen früheren Aussagen ab) in jedem Fall von Ruhestörung und Belästigung durch Clubs, Gastronomie oder Besucher*innen die Polizei zu rufen – denn jeder Polizeiruf wird in die Statistik aufgenommen und beeinflusst damit die weitere Planung des Kräfteeinsatzes.
Konzept der mobilen Wache
Auf Nachfrage erläuterte Geisel das Einsatzkonzept der mobilen Wache in Friedrichshain. Nach seinen Aussagen ist die mobile Wache ein erweitertes Angebot der Berliner Polizei, ihr Einsatz unterliegt aber der freien Entscheidung der Direktion vor Ort. Verstärkte Polizeipräsenz und Sichtbarkeit soll zu einem höheren subjektiven Sicherheitsgefühl der Anwohner*innen führen. Gegenwärtig dienen die mobilen Wachen jedoch eher der Touristenbetreuung, was nicht im Interesse des Konzepts liege, wie Geisel betont.
So viel Sicherheit wie nötig, so viel Freiheit wie möglich
Neuköllns Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) hat seinen Einsatz für ein Volksbegehren für mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum damit begründet, dass es “besser ist gefilmt zu werden als verdroschen”, zitiert Geisel. Doch das aktuelle Problem im Friedrichshainer Kiez sei, dass man “gefilmt UND verdroschen wird”. Sein erklärtes Ziel ist, dass kein Mensch mehr Angst vor Gewalt haben muss.
Dafür müsse die Personaldecke bei der Polizei dringend ausgebaut werden. Dabei gleicht dieser Ausbau einer Aufholjagd, denn viele Polizist*innen scheiden aufgrund ihres Alters bald aus dem Dienst aus – und müssen dringend ersetzt werden. Trotz steigender Zahlen von Auszubildenden sei für die nächsten 10 Jahre also lediglich eine gleichbleibende Zahl von Einsatzkräften haltbar; eine Vergrößerung sei kaum möglich.
Als Unterstützung sollen auch andere Ämter aufgerüstet werden. Das Ordnungsamt könne die Tätigkeiten der Polizei sinnvoll ergänzen und unterstützen. Auch dort gilt es umzubauen und neu zu strukturieren, damit zum Beispiel auch nach 22:00 Uhr Einsätze möglich sind.
Geisel verdeutlicht im Gespräch wiederholt seine Position, eine Verbesserung der Situation sei nur durch eine Gesamtwandlung des Milieus, weg von der Partyszene, hin zu einer eher konventionellen Wohnstruktur möglich. Vertreter*innen des Bezirks, große Teile der Anwohner*innen, soziokulturell Engagierte und auch die Grünen lehnen dies ab – besonders angesichts des noch laufenden Dialogverfahrens zum RAW, welches vom Bezirksamt organisiert wird.
Geisel bedankte sich trotzdem aufrichtig bei allen Anwesenden für die nachdrücklichen Schilderungen und die vielen klar benannten Problemfälle, die er aus dem Abend mitnehmen kann. “So eine Diskussionsrunde geht nicht spurlos an mir vorbei” verabschiedete sich Geisel.