Immer wieder erreichen uns Nachrichten besorgter Bürger*innen, die sich über die aktuell regelmäßige Ausführung von temporären Spielstraßen in ihrem Kiez beschweren oder die Sinnhaftigkeit dieses Projekts in Frage stellen. Deshalb habe ich hier nochmal aufgeführt, welchen Nutzen temporäre Spielstraßen für unseren Bezirk haben und auf welchen Wegen Anwohner*innen davon profitieren können.
1. Ausgangslage
Kiezstraßen haben ihre Qualität als Aufenthalts- und Begegnungsorte in den letzten Jahren folgenschwer eingebüßt. Waren sie früher Räume, in denen sich Anwohner*innen täglich begegnen und vernetzen und Kinder zum Spielen zusammenfinden konnten, werden die Straßen heute hauptsächlich für den motorisierten Durchgangsverkehr und zum Abstellen von Fahrzeugen genutzt. Allenfalls gastronomische Einrichtungen laden zum Verweilen auf den Gehwegen ein, aber diese Möglichkeit ist nur über den Weg des Konsums gegeben, der nicht allen Bürger*innen unserer Stadt offensteht.
In Berlin stehen für Spielplätze insgesamt nur 3,3 Quadratkilometer Fläche zur Verfügung. Als Vergleich dazu: Verkehrsflächen nehmen insgesamt 133 Quadratkilometer ein (Parkplätze, Straßen, Kreisverkehre, Gehwege). In Friedrichshain-Kreuzberg, als eine der am dichtesten besiedelten Flächen Europas, stehen nur 6,5% der Fläche für Vegetations- und Ausgleichsorte zur Verfügung – der Verkehr dagegen nimmt 26,4% der Fläche ein. (Quelle: Tagesspiegel)
Dies lässt die Frage nach einer gerechten Flächenverteilung aufkommen.
2. Aktuelle Situation – Kiezleben unter Coronabedingungen
Die Vorgaben der Eindämmungsverordnung schreiben eine Einhaltung von Mindestabständen im täglichen Kontakt vor.
Mit 6,4 Quadratmeter Grünraum pro Einwohner*in in Friedrichshain-Kreuzberg sind jedoch die öffentlichen Räume in unserem Bezirk, gerade bei gutem Wetter, dicht gefüllt. Auch auf Spielplätzen gilt es, die vorgeschriebenen Mindestabstände zu halten.
Deswegen sollen temporäre Spielstraßen, welche auch als Nachbarschafts- und Begegnungszonen genutzt werden können, das Freiraumangebot im Bezirk erweitern und damit die Flächennutzung entzerren.
Aktuell werden jeden Sonntag auf 18 Straßen des Bezirks temporäre Spielstraßen eingerichtet, eine zusätzlich mittwochs in der Böckhstraße. Der Zeitraum dafür ist 13-19 Uhr. Die Straßen werden für den motorisierten Verkehr gesperrt. Anwohner*innen werden im Vorfeld gebeten, ihre Autos für die Dauer der Spielstraße umzuparken. Allerdings werden keine Autos abgeschleppt. Wenn jemand mit dem Auto die Spielstraße verlassen will, wird er/sie von Kiezlots*innen im Schritttempo aus der Spielzone geleitet. Die Einfahrt auf die Spielstraße bleibt jedoch verschlossen. Ausnahmen stellen Einsatzfahrzeuge, Fahrzeuge der BSR und Fahrzeuge mobilitätseingeschränkter Bürger*innen dar.
3. Bonding der Anwohner*innen mit ihrem Kiez – Multiplikatoreneffekt
Für die Realisierung der Spielstraßen ist ehrenamtliches Engagement von Anwohner*innen notwendig. Für jede Straße werden mindestens 7 Ehrenamtliche gebraucht, die als Kiezlots*innen die Straße absperren, die Kommunikation mit Fahrzeugbesitzer*innen übernehmen und auf die Einhaltung der Abstandsregeln achten. Durch die Übernahme dieser Verantwortung setzen sich Bürger*innen intensiv mit den Bedürfnissen in ihrem Kiez auseinander, treten in Austausch mit der Nachbarschaft und vernetzen sich. Es entstehen neue Projektideen zur Aufwertung der Kieze – so zum Beispiel zur Begrünung von entsiegelten Flächen oder zur Schaffung von weiteren Freizeitangeboten.
Das Bezirksamt stellt an den Sonntagen mit Wasser gefüllte Tanks an den Spielstraßen zur Verfügung. Damit sollen Straßenbäume an den entsprechenden Spielstraßen bewässert werden. Gerade in den bevorstehenden warmen Sommermonaten können Anwohner*innen damit der Trockenheit entgegenwirken und einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unseres Stadtgrüns, unsere gemeinsame “grüne Lunge”, leisten.
4. Fazit – Argumente für die temporären Spielstraßen
- Spielraum für Kinder – Entlastung der Spielplätze und Grünflächen
- Raum für nachbarschaftliche Begegnung, Austausch und Vernetzung – frei von Konsumzwang
- Durch Bewegungsmöglichkeiten und soziale Interaktion – gesundheitsfördernde Maßnahme für Stadtbewohner*innen
- Verantwortungsübernahme und damit „Bonding“ der Anwohner*innen mit dem Kiez – Ideen für neue Projekte – Aufwertung der Lebensqualität in den Kiezen
- Kombiniert mit Bewässerungsmaßnahmen – Pflege der städtischen Flora
- Austausch und Vernetzung von Anwohner*innen – offen und zugänglich für alle sozialen Schichten, damit auch Durchmischung der gewachsenen Strukturen – neue Kontaktmöglichkeiten
Lesen Sie auch einen Artikel über die Temporären Spielstraßen in der TIP vom 13.05.2020: Temporäre Spielstraßen: Impuls für den Kiez, Spaß für die Kids