Am 23.01.2023 folgten ca. 50 Anwohnende und Interessierte unserer Einladung und kamen zur Podiumsdiskussion “Menschen vor Profite – Quo vadis Karstadt Hermannplatz?” im Festsaal des Refugio Sharehouse zusammen.
Seit 2019 fordern wir ein ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren für den Umgang mit dem Karstadt-Gebäude und der Gestaltung des Hermannplatzes. Der Deal, der am 03.08.2020 zwischen SIGNA und Senat geschlossen wurde, ist für uns weder sozial noch politisch akzeptabel. Auch in den letzten Monaten ist vieles passiert, was einer kritischen Beleuchtung bedarf: ein erneutes Schutzschirmverfahren von „Galeria-Karstadt-Kaufhof“, wiederholte Bestechungsvorwürfe gegen den SIGNA -Geschäftsführer Benko und das Wissen um Einschränkungen einer U-Bahnlinie durch eine Baustelle, die alle weiteren Großbaustellen beeinflussen wird. Viele Punkte gilt es aufzugreifen und vor weiteren Entscheidungen zu erörtern.
So trafen auf dem Podium meine Kolleg*innen aus dem Abgeordnetenhaus Susanna Kahlefeld (MdA) und Julian Schwarze (MdA) in einer circa 2-stündigen Diskussion auf Niloufar Tajeri (Vertreterin der Initiative Hermannplatz) und Florian Schmidt (Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg).
Julian Schwarze, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen Fraktion des Abgeordnetenhauses stellte insbesondere die Schäden, die ein solch kolossaler Bau direkt über einem alten U-Bahntunnel verursachen kann, dar. Nach den Erfahrungen, die am Alexanderplatz gemacht wurden, wo sich ein U-Bahntunnel durch einen Neubau abgesenkt und zu erheblichen Verkehrsstörungen geführt hat, muss diesem Aspekt mehr Beachtung geschenkt werden. Gerade am Hermannplatz, wo U7 und U8 als zentraler Knotenpunkt des Verkehrsnetzes zusammentreffen, wäre die Beeinträchtigung des Verkehrs für die Stadt fatal. Auch die BVG hat bezüglich des geplanten Neubaus starke Bedenken angemeldet. Zwingend muss also sicher gestellt werden, dass SIGNA als privater Investor für alle derartigen Schäden aufkommt, und ein Konzept zur Vermeidung dieser erarbeitet wird.
Florian Schmid, Baustadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg, berichtet von zahllosen Diskussionsrunden mit den damals noch zuständigen Ämtern des Bezirks und auch den Architekt*innen des Gebäudeentwurfs, in denen die Vor-und Nachteile und die Auswirkungen eines solchen Baus auf den Kiez besprochen wurden. Schon damals haben sich die verantwortlichen Ämter unisono gegen den Bau ausgesprochen. Mit dem überdimensionierten Bau würden Verdrängung und Gentrifizierung in den angrenzenden Kiezen noch verstärkt werden – die langsam gewachsenen Strukturen der umliegenden Gewerbe würden zerstört werden. Das Projekt stehe als Symbol für die „guten alten Zeiten“, das mit der jetzigen Identität der umliegenden Kieze kaum vereinbar ist. Zudem sei der Bau in seiner derzeitigen Planung laut Expert*innen gar nicht mit den Denkmalschutz-Richtlinien vereinbar. Details dazu wird ein kürzlich vom Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg beauftragtes Gutachten zeitnah liefern (mehr Infos: https://taz.de/Karstadt-am-Hermannplatz/!5916720/).
Auch Niloufar Tajeri, Vertreterin der Initiative Hermannplatz, sieht in dem Monumentalbau einen Ansatz, der nicht mehr zeitgemäß ist. In der Architektur stecke der Glaube an unendliches Wachstum, angebracht wäre es in heutiger Zeit aber, das Gebäude aus dem Postwachstumsgedanken, aus dem Bestand heraus, zu entwickeln. SIGNAs Strategie sei leicht durchschaubar: nach einer Übernahme von Galeria, Karstadt und Kaufhof mit Immobilien in bester Innenstadtlage würden nun die Warenhäuser in Wellen geschlossen werden. Die Immobilien werden ohne Rücksicht auf bestehende Gebäude- und Gewerbestrukturen, Kieze und die Bedarfe der Anwohnenden mit maximaler Fläche und somit maximalem Profit um- oder neu gebaut.
Susanna Kahlefeld beleuchtete, als Sprecherin unserer Fraktion für Beteiligung und Engagement, den bisher vollständig fehlenden Aspekt der Bürger*innenbeteiligung im Projektablauf. Anfang letzten Jahres war bei einer Veranstaltung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen für die Zivilgesellschaft ein sogenanntes Masterplanverfahren angekündigt worden, bei der Bürger*innen nach Beendigung einer Grundlagenermittlung Mitsprache erhalten würden. Die Gespräche der Grundlagenermittlung fanden mit ausgewähltem Publikum in kleinem Kreis statt, die Ergebnisse wurden erst jetzt, knapp ein Jahr später, veröffentlicht. Die versprochene Beteiligung der Bürger*innen blieb bis heute aus. Obwohl in den Berliner Leitlinien für Bürger*innenbeteiligung ein umfassender Beteiligungsprozess bei solchen Projekten vorgesehen ist, sieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Bauen und Wohnen bisher keine echte Beteiligungsmöglichkeit vor. Senator Geisel möchte das Projekt nach den Plänen der SIGNA einfach durchdrücken, obgleich sich die Koalitionspartner, Bezirksverwaltungen und Zivilgesellschaft von Anfang an gegen eine Umsetzung ausgesprochen haben.
Auch in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum kamen viele weitere Aspekte zur Sprache. So berichtete Marlies Fuhrmann, dass der jetzige Bau durch ein Wettbewerbsverfahren des damaligen Senats geplant, und teilweise auch mit Senatsgeldern gebaut wurde. Muharrem Batman, der knapp 20 Jahre lang einen Elektronikladen in der Hermannstraße betrieben hat und sich dem Thema Reuse und dem Reparaturgedanken widmet, regte dazu an, alternative Konzepte für den Standort zu entwickeln. Er können sich hier zum Beispiel gut ein Gebrauchtwarenkaufhaus vorstellen, eine Idee die viel Zustimmung beim Publikum hervorrief. André Schulze zeigte allen die Absurdität der finanziellen Lage SIGNAs auf: während der Mutterkonzern SIGNA jährlich satte Gewinne in hoher dreistelliger Millionenhöhe erzielt, versucht Galeria Karstadt Kaufhof, zu 100% ein Tochterkonzern SIGNAs, seine Verluste durch Staatshilfen zu kompensieren. 680 Millionen Euro wurden dadurch schon ausgezahlt. Bei der erneuten Beantragung von Staatshilfen im Oktober 2022 wurden dem Unternehmen endlich weitere Staatshilfen verwehrt.
Nach dem Fazit aller Podiumsgäste steht fest: Stadtgesellschaft und Politik müssen sich weiterhin gegen die Strategie SIGNAs und Geisels, die Bauprojekte in der ganzen Stadt betrifft, wehren. Denn die Entwicklung der Stadt durch profitmaximierende Hochhäuser, die keinerlei Verbindung zum Kiez, seinen Bewohner*innen und dem umliegenden Gewerbestrukturen hat, muss endlich aufhören! Stattdessen brauchen wir eine sensible Entwicklung aus dem Bestand heraus, die bei einem ergebnisoffenen Prozess, unter Beteiligung der Bürger*innen, erarbeitet wird.