Familienzentren, Familientreffpunkte, Elterncafés, Arbeitsgemeinschaften zur Gesundheitsförderung rund um die Geburt, Familienberatung oder Kita, Kinderschutz, Aufbau regionaler Bildungsnetzwerke wie z.B. der Campus Marianne, Familienhebammen, FamilienServiceBüro „Be Family“, Aufsuchende Elternhilfe, Griffbereit, Rucksack – all dies sind Bausteine, und bei weitem nicht alle, einer sich stetig weiterentwickelnden grünen Politik für alle Familien in Friedrichshain-Kreuzberg.
Am 10. März 2015 lud ich zum Kiezgespräch ein, um über die Familienpolitik für Friedrichshain zu diskutieren – was wurde schon erreicht, wo besteht noch weiterer Bedarf? Diesmal waren wir zu Gast im Kinder- und Familienzentrum DAS HAUS e.V. im Weidenweg, dessen Arbeit vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit finanziert wird. Mit Birgit Bosse, der Leiterin des Kinder- und Familienzentrums, Monika Herrmann, der grünen Bezirksbürgermeisterin, die gleichzeitig auch zuständige Stadträtin für Kinder, Jugend, Familien und Gesundheit ist, sowie Katinka Beber, Koordinatorin für den Bereich Frühe Hilfen & Erziehung im Jugendamt, standen mir drei Expertinnen mit ihrer vielfältigen Erfahrung zur Seite. Die über 30 Anwesenden waren ebenfalls bunt gemischt – Eltern aus dem Bezirk, Aktive aus verschiedenen Gremien, Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit. Die Perspektiven auf das Thema Familie zu schauen, waren vielfältig und sehr interessant.
Grünes familienpolitisches Leitbild
Monika Herrmann leitete ein, Familie ist immer da, wo Kinder sind. Das ist auch das grüne familienpolitische Leitbild. Niemand ist jedoch genetisch als „Eltern“ vorgebildet. Ziel der Familienpolitik im Bezirk ist es, alle diejenigen, die Verantwortung für Kinder tragen, zu unterstützen, sie zu fördern und zu stärken.
Monika Herrmann betonte, dass vor allem auf allen politischen Ebenen (im Land Berlin und auf der Bundesebene) ein Paradigmenwechsel stattfinden müsse, weg von einem Bild der Kinder- und Jugendhilfe als einem „Reparatursystem“ mit den sog. Hilfen zur Erziehung (die erst dann eingesetzt werden dürfen, wenn die Schwelle zur Kindeswohlgefährung fast überschritten ist, in dem zu spät zu viel Geld ausgegeben wird) hin zu einem massiven Ausbau der familienunterstützenden Angebote, die auch Geld kosten, die aber allen Familien offen stehen. Ziel müsse es vielmehr sein, diesen Bereich mit angemessenen finanziellen Mitteln auszustatten, um so Personal für eine eher aufsuchende Familienarbeit einstellen zu können. Mit dem Geld könnten außerdem weitere Orte für Familien eröffnet werden.
Frau Bosse blickte auf die Geschichte des HAUS zurück und führte hierzu aus, dass sich die Ausrichtung der Inhalte des Kinder- und Familienzentrums in den letzten fünf Jahren stark verändert hätten. Waren es vor ein paar Jahren noch die Bildungsangebote, die von den Eltern genutzt wurden, geht es heute eher darum, einen Ort zu schaffen, an dem sich Familien treffen und austauschen können, ohne zu verbindlich an Raum und Ort gebunden zu sein.
Familienpolitik vor Ort
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, gehört zu den kinderreichsten Bezirken Berlins. Er nimmt seine Verantwortung diesbezüglich wahr und führt die Rangliste ebenfalls in puncto Ausgaben für konkrete Hilfen für Familien an. Diese Entwicklung hat Monika Herrmann als Grüne Jugendstadträtin unterstützt durch die BVV Friedrichshain-Kreuzberg angeschoben und setzt sie kontinuierlich fort. Sichtbar wird dies in der Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel für familienfördernde Angebote plus die Drittmittel, die die Jugendhilfeträger so einwerben können sowie die Anpassung der Personalkapazitäten an den steigenden Bedarf, denn die Kinderzahlen wachsen in unserem Bezirk noch weiter.
Aber auch Friedrichshain stößt an seine räumlichen Grenzen – die Schaffung neuer Kita- oder Schulplätze gestaltet sich als immer schwieriger, weil es einfach keine freien Flächen mehr gibt, auf denen neu gebaut werden könnte. So ist die Idee der Kita-Wahlfreiheit leider auch hier in der Praxis nicht umsetzbar. Dies betrifft auch die Idee, in jedem Sozialraum ein Familienzentrum zu entwickeln. Der aktuelle Neubau des FuN – Familie und Nachbarschaft – am Rudolfplatz ist hierbei eine große Ausnahme. Hier entsteht ein Familienzentrum im Verbund mit der Kita am Rudolfplatz sowie der NISCHE, einer Kinderfreizeiteinrichtung.
Friedrichshain-Kreuzberg bietet die größte Auswahl an familienfördernden Angeboten – mit Ausgaben in Höhe von jährlich 60 Euro pro Familie für die Familienförderung liegt Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin an der Spitze, im Vergleich dazu gibt der Bezirk mit dem geringsten Angebot 3 Euro pro Jahr für jede Familie aus.
Katinka Beber berichtete darüber, dass Friedrichshain-Kreuzberg bereits seit 2006 kontinuierlich in den Ausbau der familienunterstützenden Infrastruktur investiere. Im Zentrum stehen der Ausbau und die Förderung von Familienzentren. Derzeit gibt es im Bezirk elf Familienzentren. Der Begriff des „Familienzentrums“ ist kein geschützter Begriff, aber für Friedrichshain-Kreuzberg gilt, dass ein Familienzentrum offen für alle sein soll, mit einer breiten Palette an kreativen wie erholsamen Angeboten. Ein wichtiger Baustein ist außerdem Beratung – z.B. Familienberatung, Mieten- und Schuldnerberatung – ein Thema, das leider immer wichtiger wird. Mehrsprachigkeit wird immer präsenter, was sich an einer zunehmenden Zahl mehrsprachiger Angebote, Flyer und Informationsbroschüren, aber auch konkreten aufsuchenden Familienbildungsangeboten wie „Griffbereit“ oder „Rucksack“ zeigt.
Willkommen Baby!
Außerdem gibt es eine gut gefüllte Willkommenstasche „Willkommen Baby!“, die Katinka Beber im Detail vorstellte, in der Eltern viele nützliche Informationen für die erste Zeit mit Baby finden: Adressen im Bezirk, Anlaufstellen für Anträge, aber auch eine CD mit internationalen Kinderliedern sowie ein mehrsprachiges Bilderbuch und eine Stoffwindel mit dem Bezirkswappen. In vielen Gesprächen in Familienzentren mit Familien und Akteuren, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sind die Inhalte dieser Willkommenstasche entstanden. Sie ist u.a. bei den Willkommen-Baby-Infoveranstaltungen erhältlich, die wechselnd in den Familienzentren organisiert werden.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum zeigte sich jedoch, dass obwohl bereits viel passiert und Informationen an allen möglichen Stellen ausliegen, viele Angebote den Eltern einfach nicht bekannt sind. Alle drei Expertinnen betonten eindeutig, dass sie offen wären für Ideen, wie die Reichweite der Informationen noch erhöht werden könne. Neben der Idee, eine regelmäßige Infopost vom Jugendamt an alle Haushalte im Bezirk zu verschicken, Öffentlichkeitsarbeit in Form eines „Marktstandes“ auf dem Boxhagener Platz zu machen, erläuterte der Geschäftsführer von smartkiez sein Konzept der bedruckten Papiertüte, die man z.B. beim Einkauf im Bäcker erhält – Brot gekauft und auch noch informiert. Neben diesen Möglichkeiten darf sich natürlich weiterhin auch jeder selbständig informieren, z.B. im Familienwegweiser, der alle zwei Jahre neu erscheint.
Ein Thema, das die Vertreter_innen von Kinder- und Jugendarbeit-Einrichtungen mehrfach ansprachen, ist die schwierige Finanzierungssituation. Insbesondere die sogenannten „Lückekinder“ benötigen Angebote, doch dafür gibt es keine Sonderprogramme.
Vor allem die präventive Arbeit sollte stärker unterstützt werden, die Mittel für die Hilfen zur Erziehung stehen seit Jahren bei 30 Mio. Euro. Die Mittel verteilen sich auf immer mehr Kinder, und neue Themen kommen dazu, z.B. gibt es immer mehr Trennungskinder, die insbesondere in Berlin eine große Gruppe stellen. Hierfür müsste es Anlaufstellen geben, die Eltern und Kinder im Falle einer Trennung auffangen und beraten.
Noch einmal betonte Monika Herrmann, dass ein Paradigmenwechsel dringend nötig sei, der darin bestehe, Familien so früh wie möglich zu stabilisieren, sie zu unterstützen, und nicht erst notdürftig zu reparieren, wenn alles schon am Auseinanderbrechen ist.
Eine weitere Lanze brach die Bezirksbürgermeisterin für die Stärkung der Eltern. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie viel tun könnten, wenn es Missstände in der Kita oder der Schule gibt. Auch wenn ein aktives Familienleben nicht kompatibel mit den Aktivenstrukturen ist und es viel Kraft erfordert, gibt es doch immer wieder Erfolgsgeschichten, in denen Eltern für ihre Kinder Dinge erkämpft haben.
Einigkeit bestand darin, dass es kein falsch und kein richtig im Familienleben gäbe, aber allen gemein ist, dass sie Orientierung benötigen, und eben auch suchen. Dafür sind Orte wie Familienzentren genau die richtigen und sollten daher unbedingt weiterhin gestärkt und ausgebaut werden.